Ich will so bleiben, wie ich bin
Dieser Werbeslogan hält sich nun schon seit 1973 und er stammt von der Marke „du darfst“, welche „light“-Lebensmittel an die Frau und an den Mann bringt. Wobei, wenn man sich die Werbespots ansieht, wird eigentlich vor allem das weibliche Klientel angesprochen. Genuss, ohne Sünde ist die Devise. Dieser Slogan scheint zu ziehen.
Natürlich wird lediglich auf die physische Erscheinung der KäuferInnen abgezielt. Einige Jahrzehnte später scheint die Sehnsucht nach dem Werbeslogan ungebrochener denn je. Diesmal jedoch ist unsere Psyche und vor allem unsere Einstellung zu uns selbst betroffen.
Alles soll so bleiben, wie es ist
In den 70ern des letzten Jahrhunderts waren die Nachkriegs- und somit die Aufbaujahre vorbei. Man konnte und musste sich wieder anderen Dingen widmen. Das „Selbst“ war nicht so sehr im Blickpunkt des eigenen Interesses. Es gab genug Arbeit, eigentlich unvorstellbar in der heutigen Zeit der hohen Arbeitslosigkeit, ein Zuviel an Arbeit. Es war die Blüte der Wirtschaft und damit verbunden wenig Ängste, was die eigene Zukunft betrifft.
Doch Mitte der 70er Jahre änderte sich das Bild in ganz Europa. Nach Jahrzehnten fallender Arbeitslosigkeitszahlen, waren diese wieder im Begriff zu steigen. Die moderne Wirtschaftspolitik (Neoliberalismus) begann seine Kreise zu ziehen. Die Arbeit wurde knapper, da es eine gewisse Konsumsättigung in der Gesellschaft gab. Auch die Welt rückte immer weiter zusammen. Entfernungen schmolzen und die Globalisierung nahm ihren Lauf. Die Konkurrenz in Billiglohnländern schlief nun mal nicht. Und tut es auch heute nicht.
Es verwundert daher nicht, dass es damals wie auch heute noch, melancholische Erinnerungen an diese Zeiten gibt und gab. An Zeiten des Überflusses und der Sicherheit, ohne großartige Krisen.
Stagnation ist keine Option
Ob wir wollen oder nicht – die Dinge verändern sich. Mein Mentor und Freund Ilja Grzeskowitz (=Experte für Veränderungsprozesse) ist der Ansicht, dass: „Change the new normal“ ist. Also wir können uns Stagnation noch so wünschen, sie wird nicht geschehen. Dies ist wahrscheinlich die einzige Konstante: Dinge verändern sich – schneller als jemals zuvor.
Heute übrigens ist der Begriff der Stagnation im Wirtschaftsbereich sehr negativ besetzt. Alles muss wachsen, schneller, genauer, preiswerter, kompetitiver, ästhetischer, perfekter werden. Nicht nur die Dinge, die uns in unserem täglichen Leben umgeben.
In den letzten Jahren hat der Trend zugenommen, dieses Denken auf sich selbst anzuwenden. Tools, um dies zu bewerkstelligen, gibt es genug – man denke nur an die Smart-Watches, Mini-Computer, Schlafsensoren, usw. Dieses Denken der Optimierung hat sich bis in den kleinsten Winkel unseres eigenen Lebens vorgearbeitet.
Nun sind wir den halben Tag damit beschäftigt, uns zu optimieren und den anderen halben Tag, den Menschen von unseren Optimierungserfolgen mitzuteilen. Das Internet macht es möglich. Das stresst und entfernt uns von uns selbst.
Ein Kind der 80er
Wie wir gesehen haben, scheint Ilja Grzeskowitz Recht zu haben. Die Dinge verändern sich. Rasend schnell. Ich bin ein Baujahr 1981. Meine Kindheitserinnerungen spielen also noch in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts.
Ich vergleiche nun meine Kindheit mit der meiner eigenen Kinder (*2010; *2014). Es hat sich eigentlich fast alles verändert. Man denke nur an die Möglichkeiten der Kommunikation. Ich kann mit wenigen Mausklicks mehr Menschen erreichen als damals in einem Jahr. Ich kann mir mehr und qualifiziertere Informationen in schnellerer Zeit besorgen als jemals zuvor. Ich kann mit Menschen kooperieren, die ich persönlich noch nie getroffen habe. Wahnsinnig tolle Möglichkeiten.
Ich kann allerdings auch den ganzen Tag in Internetforen, Computerspielen und vor der Glotze verbringen. Theoretisch könnte ich den ganzen Tag Fußball aus der ganzen Welt schauen, 24 Stunden/365 Tage im Jahr/5 Fernseher parallel laufend. Als Vergleich für meine jüngeren LeserInnen: Wir hatten in den 80ern 2 Sender. That´s it.
Du bist ein Portfolio
Diese Möglichkeiten haben natürlich allesamt dramatische Auswirkungen auf uns und unsere Selbstwahrnehmung und damit auch auf unsere Sympathiegewinnungsstrategien. Nachdem die Arbeit knapper und die Konkurrenz größer geworden ist, betrachten wir uns mehr und mehr als Aktie, die im Wert gesteigert werden muss. Dies gilt für alle Aspekte unseres Lebens. Sehr schön beschrieben, in diesem Artikel. Optimierung überall, um einen Abnehmer zu finden. Keine Rede von: „Ich will so bleiben, wie ich bin“. Viel eher: „Ich muss anders werden als ich bin, da ich nicht gut genug bin“. Ständig hängt das Damoklesschwert des Versagens über unseren Köpfen. Wehe dem, der aufgibt und sich ein Mittagsschläfchen gönnt, welches in den 80er und 90ern noch durchaus en vogue war 😉 Dies scheint heute jedoch verlorene Zeit zu sein, welche man besser investieren könnte, für den eigenen Fortschritt, für die eigene Perfektion.
Notiz am Rande: Die besten Ideen habe ich stets, wenn ich meine Tochter in den Schlaf wiege. Dort befinde ich mich in einem Zustand, der ganz und gar nicht sehr aktiv ist – zumindest geistig….
Du darfst so bleiben, wie du bist
Ich bin nicht generell gegen Weiterentwicklung. Ich bin nur gegen Weiterentwicklungen, die dich von deinem eigenen Weg abbringen. Eine Selbstoptimierung in allen Bereichen deines Lebens bringt dich nicht notwendigerweise deinen Zielen näher. Im Gegenteil, sie führt tendenziell zum Ausmerzen deiner Ecken und Kanten, welche wiederum sehr entscheidend für deinen Erfolg sind. Darüber habe ich bereits einen Blogartikel verfasst, den du HIER gerne lesen kannst.
Verbessere dich dort, wo es WIRKLICH notwendig ist. Befreie dich von gesellschaftlich geprägten Vorstellungen diesbezüglich, was schwer genug wird. Gehe deinen eigenen Weg, mit allen Chacnen und Risiken. Verbessere dich dort, wo du Spaß an deiner Verbesserung hast. Die Sympathien werden dir sicher sein, wenn du deine Geschichte erzählst. Egal, wie erfolgreich du warst.
Sympathische Grüße aus der Südsteiermark
Dein Michael Jagersbacher