Authentizität ist eine Ausrede
Wer redet uns eigentlich ein, dass wir authentisch sein müssen? In vielen Diskussionsunden während meiner Trainings oder nach meinen Vorträgen nehme ich wahr, dass viele Menschen den Begriff „Authentizität“ falsch verwenden. Sie nehmen ihn als Entschuldigung, nicht an sich selbst zu arbeiten. Sich nicht mit neuen Modellen auseinander zu setzen. Einfach so zu bleiben, wie man ist, selbst, wenn diese Haltung kontraproduktiv für sie ist.
Würden wir den Wert Authentizität noch immer hoch halten, wenn wir ein „authentisches“ Arschloch vor uns haben? Diese könnte nämlich genauso gut sagen: „So bin ich nun einmal. Pech gehabt.“ Irgendwie fühlt sich das doch nicht stimmig an, oder? Kann es sein, dass wir Authentizität vorschieben als Wert, wenn es uns gerade passt? Nämlich genau dann, wenn wir uns nicht verändern wollen. Das halte ich für traurig.
Wer bist Du wirklich?
Hast du dir schon einmal die Frage gestellt, WER du wirklich bist? Was es eigentlich genau bedeutet, authentisch zu sein, authentisch zu wirken?
Kommunikationstraining wird immer wieder verwechselt mit einem künstlichen Überstülpen kommunikationstheoretischer Ideen über die eigene Persönlichkeit. Seien wir uns ehrlich – JEDER von uns hat sein Päckchen mitzutragen. JEDER von uns wurde bereits einmal enttäuscht in seinem Leben – höchstwahrscheinlich sogar öfter. Wir wollen anderen Menschen gefallen, um nicht wieder enttäuscht zu werden, um nicht wieder Ablehnung zu erfahren. Wir lernen noch bevor wir die ersten Atemzüge in unseren Lungenflügeln spüren. Wir lernen von unseren Eltern, wir lernen von unserem Umfeld. Wir lernen, wie wir uns in der Gegenwart von anderen verhalten müssen, um Anerkennung und Lob zu bekommen. Wir lernen sehr früh, welche Verhaltensweisen erwünscht sind und welche nicht. Alles basiert auf Lernprozessen, Du basierst auf Lernprozessen.
Wenn wir den Begriff Authentizität also sehr eng definieren, dann gibt es so etwas wie ein authentisches Selbst gar nicht, da wir ALLES in unserem Leben vermittelt bekommen haben. Direkt oder indirekt. Und viele Menschen stoppen diesen Prozess einfach willkürlich, weil es ihnen in den Kram passt.
Traumata sind Lernanlässe
Mit 4 Jahren hat mein Vater mir folgende Sätze mitgeteilt, die ich nie wieder vergessen werde: „Michael, du entsprichst nicht meinen Erwartungen. Ich finde keinen Draht zu dir! Ich möchte keinen Kontakt mehr mit dir haben!“So schlimm diese Aussagen damals für mich waren, so wichtig sind sie, um mich selbst und mein kommunikatives Verhalten zu verstehen. Ich bin durchaus dankbar für diese Sätze, die mir mein Vater damals ins Gesicht schmetterte. Sie sind der Grund, weshalb ich Bücher schreibe, weshalb ich Trainings und Coachings abhalte, wieso ich vor hunderten Menschen vortrage. Meine Persönlichkeit wurde in diese Richtung geformt.
Doch wie ging es dem 4 jährigen Jungen? Grausam waren die Worte allemal. Aber nicht nutzlos. Denn implizit wurde ihm vermittelt, dass er sein Leben lang versuchen wird, den Erwartungen anderer Menschen – die er natürlich nur zu einem Bruchteil kennt – zu erfüllen. Er wird seine eigenen Bedürfnisse hintanstellen und nach Bestätigung von außen suchen. Authentizität würde nun bedeuten, genau diesen vorgezeigten Weg weiterzugehen. Ich halte dies für falsch, weil diese Form der Authentizität sich gegen das Subjekt selbst richten würde. Ich hätte mich meinem Schicksal ergeben – epochal gesprochen. Ich entschied mich jedoch anders.
Authentizität ist Be-Einflussung
Sieht man sich den Begriff der Authentizität aus sozialpsychologischer Perspektive an, dann geht es vorwiegend darum, das eigene Handeln bewusst zu erleben und zu beeinflussen. Somit ergibt sich ironischerweise der Umstand, dass alle Menschen, die Authentizität als Ausrede für ihr „So-Sein“ und ihre Veränderungsresistenz verwenden, den Begriff völlig falsch interpretieren. Mit der Entscheidung, sich persönlichem Wachstum zu verschließen, erreicht man das genaue Gegenteil von Authentizität, nämlich Fremdbestimmung.
Mein Mentor und Coach Niels Koschoreck trifft mit seinem Slogan: „Sei Du selbst. Nur besser“, den Nagel auf den oft zitierten Kopf.
Authentizität ist Ehrlichkeit und Konsequenz
In meinem Buch: „Der Sympathie-Code“ habe ich dargelegt, wie wichtig es ist, sich nicht vor seinen negativen Seiten abzuwenden. Ganz im Gegenteil – die Beachtung und Benützung seiner negativen Seiten kann von enormem Vorteil für Sie sein. Die Sozialpsychologie ist ebenfalls der Ansicht, dass die Beachtung der gesamten Persönlichkeit entscheidend für ein authentisches Auftreten ist. Es steht jedoch nirgends geschrieben, dass man nicht an seinen Schwächen arbeiten darf. Im Gegenteil: Konsequentes Vorgehen ist ebenso ein Teilaspekt authentischen Seins. Dies bedeutet, die eigenen Werte zu kennen, nach ihnen zu handeln und ihnen treu zu bleiben. Erfordert die Erfüllung eines Wertes nun persönliche Weiterentwicklung, dann ist es doch nur konsequent und mithin authentisch, wenn man genau dies tut.
Künstlichkeit
Mir ist durchaus bewusst, dass Künstlichkeit ein Problem darstellt im Kommunikationsakt. Meinen Coachingklienten mute ich deshalb nicht Riesenschritte zu, da sie einfach zu Brüchen in der Kommunikation führen. Ich kann mich noch an den Beginn meiner Trainerkarriere erinnern. Ich wälzte Bücher und Modelle und wandte sie auf mich selbst an. Die Spielwiese für verschiedene Techniken war natürlich mein Zuhause. Doch meine Frau merkte jede Veränderung meines Verhaltens. Die Schritte meiner Veränderung waren zu groß, deshalb wurden sie auch bemerkt. Ich muss nun natürlich betonen, dass meine Frau mich nun seit über 13 Jahren erdulden muss. Sie kennt mich und meine Art zu kommunizieren sehr gut.
Das wird dir bei einem Auftritt oder in der Arbeit wohl eher selten passieren. Doch auch Außenstehende haben gute Antennen, wenn es um Ehrlichkeit und Spontaneität geht. Wenn Sie allzu lange nachdenken, wenn du körpersprachliche Elemente einsetzt, die dir noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen sind, dann erreichst du damit das Gegenteil von dem, was du beabsichtigt hast.
Doch jeder Lernakt besteht aus mehreren Prozessen der Verfeinerung und der Übung. Wer bitte sagt, dass du dir kein „besseres“ Kommunikationsverhalten aneignen könntest? Bleibst du auf deinem jetzigen Lernstand verharren, dann ist das alles andere als authentisch.
Wenn du auch gerne professionelle Unterstützung in deinem Wirken erhalten möchtest, beachte mein Coachingangebot und zögere nicht, mich unter sympathiecode@michael-jagersbacher.at zu kontaktieren.